Soutine Biografie (2)
Die Geschichte vom reich gewordenen Chaim Soutine, der hunderte seiner Bilder zerhackte und in Flammen aufgehen liess, der auch gerne Boxer geworden wäre und der Glücksgefühle empfand, als er das sterbende Pferd einer Gauklerfamilie malen durfte.
Im Jahre 1919 schickte der Kunsthändler Léopold Zborowski den Maler Chaim Soutine nach Céret, in eine Stadt in den französischen Pyrenäen, nahe der spanischen Grenze. Céret galt lange als Malerstadt und wurde als „Mekka des Kubismus“ bezeichnet, da unter anderen auch Picasso und Braque hier lebten und malten. In Cèret, wo man ihn den „dreckigen Maler“ nannte, wechselte Soutine drei Jahre lang seine Kleider nicht, auf denen er auch die Pinsel abputzte. Nach drei Jahren in Céret, eine Zeit, in der Soutine in großer Abgeschiedenheit und Einsamkeit lebte, kehrte er mit 200 neuen Gemälden nach Paris zurück. Der amerikanische Milliardär Albert Barnes, der auf der Suche nach Kunstwerken zeitgenössischer Künstler nach Paris gekommen war, den Kunsthändler Zborowski aufsuchte und in seinem Laden nach Bildern kramte, in der Hoffnung, junge Talente in der Nachfolge der großen Nach-Impressionisten zu finden, interessierte sich für nichts, was ihm Zborowski zeigte und anbot, bis er in einer Ecke eine zerrissene und schmutzige Leinwand von Chaim Soutine entdeckte, den Maler suchen ließ, den man ungewaschen und verwahrlost auf einer Parkbank in Montparnasse fand. Barnes ließ Soutine mit einem Auto abholen, schickte ihn zuallerst einmal ins Bad und zu einem Schneider und richtete ihm in der Folge ein behagliches Atelier ein. Barnes kaufte Soutine sofort über 75 Bilder ab, räumte sein Atelier mit einem Mal leer und zahlte die für damalige Verhältnisse fantastische Summe von 60.000 Francs. Mit den Taschen voller Geld eilte Soutine aus seinem Atelier, ging ins Café, betrank sich, bestellte ein Taxi, ließ sich nach Südfrankreich chauffieren und tauchte erst nach einem Monat wieder auf. Soutine war in Paris von heute auf morgen zu einer gefeierten Persönlichkeit und einem begehrten Künstler geworden. Jahre später erzählte Soutine von seiner ersten Begegnung mit Albert Barnes, der als Arzt und Pharmazeut mit der Erfindung des Desinfektionsmittels „Argyrol“ ein Vermögen gemacht hatte: „Barnes setzte sich, sah mich an und sagte: ‚Ah! Das ist Soutine. Gut!’ Ein Grobian! Ich werde mir nie verzeihen, daß ich dumm genug war, um mich von diesem Menschen stören zu lassen.“
Als Chaim Soutine, dieser arme Junge aus dem osteuropäischen Ghetto, in Paris wegen seines Magenleidens einen Arzt aufsuchen musste, hatte er außer einem Mantel, den er auch an heißen Sommertagen trug und unter dem er splitternackt war, kein einziges Kleidungsstück. Allein für diesen Arztbesuch musste er einen andern, ebenfalls mittellosen Maler bitten, ihm dessen einziges Hemd zu borgen. In seiner Not soll er einmal eine langbeinige Unterhose zu einem Hemd zurechtgeschneidert haben. Im materiellen Wohlstand, den ihm der Kunstsammler Albert Barnes bescherte, kümmerte sich Soutine, der ein misstrauischer Einzelgänger und Melancholiker blieb und auch hochmütig sein konnte, nicht mehr um seine Montparnasse-Freunde, wies sie vor seiner Tür ab, beklagte sich auch über Modigliani, seinem Freund und Förderer, der ihn – obwohl er wusste, daß Soutine magenkrank war – zum Trinken animiert, wodurch sich seine Krankheit noch verschlimmert habe. Als er zu finanziellem Wohlstand kam, durfte er sich nicht die Lebensmittel kaufen, die er sich früher nicht leisten konnte, denn jedes Mal, wenn er seine strenge Diät, die aus gedünsteten Tomaten, Suppen und Milch bestand, nicht einhielt, wurde er wieder krank. Wenn in Montparnasse über den berühmt gewordenen Soutine Anekdoten aus seinem Leben erzählte wurden, war auch oft davon die Rede, daß er in den Cafés, in denen es oft nach Weihrauch roch, ausschließlich Milchkaffee oder Lindenblütentee trank, um seine Magenschmerzen zu lindern. Soutine war süchtig nach frischem Weihrauch. Der reichgewordene Soutine lernte Französisch, ließ sich von einem Schneider in der rue Francois Premier blaue Maßanzüge anfertigen, trug mit Vorliebe rote Seidenkrawatten und Halstücher, kaufte sich Unmengen Hüte, spazierte zwischen dem „Le Dome“ und „La Rotonde“ dandyhaft hin und her, besuchte Box- und Catchkämpfe und gab hohe Geldsummen für seine unzähligen Taxifahrten durch Paris aus. Über einen erfolglosen Maler sagte er einmal: „Ich verstehe nicht, warum er weiter malt. Ich hätte ohne Erfolg nicht weitergemalt. Ich wäre Boxer geworden!“ Einmal lud er einen befreundeten Maler aus seiner La Ruche-Zeit zum Abendessen in einem Restaurant ein, kam aber nicht zum vereinbarten Zeitpunkt. Ein anderes Mal bot er einem ehemaligen Mitschüler an der Kunstakademie in Vilnius an, ihm einen Kunsthändler zu empfehlen, aber auch daraus wurde nichts. Emmanuel Mané-Katz, ein Maler und Illustrator, den Soutine aus Vilnius kannte und den es ebenfalls nach La Ruche verschlagen hatte, erzählte, daß er einmal von Soutine, als der schon berühmt war, in seinem Atelier besucht wurde. Er war elegant gekleidet, trug ein prächtiges Seidenhemd und erzählte beglückt, daß er soeben ein Bild für 10.000 Francs verkaufte habe. Gleichzeitig aber seufzte er: „Warum sind sie in Montparnasse nur alle gegen mich!“
Mit der Jüdin Deborah Melnik, einer Malerin und Sängerin, die er aus Vilnius kannte, ließ er sich kirchlich trauen. Als bald darauf eine Tochter namens Aimée geboren wurde, bestritt Soutine die Vaterschaft und verließ Mutter und Kind. Schließlich ließ er sich zwanzig Jahre lang nicht mehr an den vertrauten, alten Plätzen in Montparnasse, rund um die Elendsquartiere von La Ruche, blicken. Von seinem jüdischen Elternhaus und von seiner frühen Kindheit sprach er selten, und wenn überhaupt, dann mit großer Bitterkeit und Verachtung. Einmal erreichte ihn ein Brief seines kranken Vaters aus Russland, der ihn um Geld bat und ihm empfahl, nach zwanzigjähriger Abwesenheit doch wieder einmal das Schtetl von Smilowitchi aufzusuchen. Soutine sagte zur Malerin Marevna: „Dieser Brief hat mich traurig gemacht, Marevna, wirklich! Obwohl er mein Vater ist, kommt er mir wie ein Fremder vor. Er liebte mich nie, glaub mir, und jetzt schreibt er um Hilfe! Ich werde ihm etwas Geld schicken und ihn tun lassen, was er will. Das wird meine Mutter nicht zum Leben erwecken. Aber ich möchte nicht hinfahren, nein, er war zu ungerecht zu mir.“ Nie wieder kehrte Soutine ins Schtetl Smilowitchi zurück. Von seinem Geburtshaus hinterließ er kein einziges Gemälde, keine Porträts oder Bilder aus seinem Elternhaus, weder von Mutter, Vater noch von seinen Geschwistern, keine Kindheitserinnerungen, auch sind Bilder aus seiner Studienzeit an der Kunstakademie in Vilnius, die er als „aufgeblasene Stümpereien“ bezeichnete, nicht erhalten geblieben. Seine Vergangenheit verdrängte Soutine, wo er nur konnte. Nur manchmal, als er La Ruche längst verlassen hatte und in ein anderes Atelier umgezogen war, hörte man bis auf die Straße seine Stimme mit dem Sprechgesang eines jiddischen Liedes. Seine russische Nationalität gab Soutine nicht auf.
Die 200 Gemälde, die Soutine nach einem dreijährigen Aufenthalt aus der Pyrenäenstadt Céret nach Paris mitbrachte und über die er selbstspöttisch sagte, daß er sie mit dem Finger gemalt habe, verachtete er und zerstörte sie bei jeder Gelegenheit, besonders nachdem als er die Bilder des von ihm hoch verehrten Gustav Courbet im Louvre entdeckt hatte, tauschte er bei den Besitzern die Ceret-Bilder gegen neue aus oder kaufte sie zu Fantasiepreisen zurück. Er setzte sogar Strohmänner ein, um an seine Céret-Gemälde heran zu kommen und sie aus der Welt zu schaffen. So gelang es ihm, ungefähr 70 Bilder zu zerstören, die er in der Pyrenäenstadt gemalt hatte. Als ihn Zborowski einmal in Céret besuchte, sich aber unzufrieden über die Qualität der Bilder zeigte, machte Soutine im Hof des Hotels Garreta ein großes Feuer und verbrannte einen Stapel Bilder. Der Kunsthändler Michel Georges-Michel erzählte, daß er Soutine monatliche Vorschüsse bezahlt, aber zwei Jahre lang keine Bilder dafür gesehen habe, und erst, als er Soutine in seiner Wohnung aufsuchte, deren Fenster er, um die Bilder zu schonen, immer geschlossen hielt, habe er etwa 300 aufeinandergestapelte Bilder gefunden. Während Michel außer Haus ging, um Essen zu besorgen, zündete Soutine einen ganzen Stapel Bilder an. Nach lauten Schreiereien und einem wilden Handgemenge konnte Michel noch einige Bilder retten. Sagte jemand ein kritisches Wort zu seinen Gemälden oder verglich jemand Gemälde von ihm mit den Bildern eines anderen großen Malers, bezweifelte der Beschauer also Soutines Einzigartigkeit, zerstörte er die Bilder. Er legte die Bilder auf den Boden, betrachtete sie lange, nahm ein Küchenmesser und stach wild drauf drein. Einmal komplimentierte er seine Freundin Mlle. Garde in ein Café, ging dann zu einem Händler, da er erfahren hatte, daß er ein Gemälde aus seiner Céret-Zeit erworben hatte, gab ihm ein neues Bild und zerstörte das alte. Als sich einmal ein wohl misstrauisch gewordener Händler weigerte, ihm das Porträt eines kleinen Mädchens zurückzugeben, fügte sich Soutine widerwillig, sagte aber flehentlich: „Bitte, sehen Sie nicht so genau auf ihre Füße. Sie ist sehr arm, und ihre Schuhe müssen geflickt werden!“ Manchmal bestellte er seine Modelle zu zehn, zwanzig Sitzungen und verwarf dann die Studien. In Verzweiflungsanfällen warf er sich aufs Bett und jammerte: „Ich sollte lieber Schuster als Maler sein!“ Damit niemand Zugriff hatte, sperrte er die fertigen Bilder weg. Den Schlüssel trug er immer bei sich. Fragte jemand nach seinen Bildern, hielt er sich verlegen den Mund zu, lächelte und sagte dann: „Reden wir später darüber!“ Seine Gemälde hängte Soutine nie auf. Eine „Zurschaustellung“ der Bilder, wie er es nannte, war ihm zuwider, er wollte zu Lebzeiten keine Ausstellungen.
Eine seiner Gönnerinnen, die reiche Madame Castaing, in deren pompöser Villa auch Erik Satie, Maurice Sachs und Jean Cocteau aus- und eingingen, beherbergte den inzwischen berühmten, aber lebensfremden Maler bei sich beherbergte und kaufte ihm sehr viele Bilder ab. Sie berichtete, daß Soutine einmal in großer Aufregung zu ihr und zu ihrem Mann gekommen sei und gesagt habe: „Madame, kommen Sie, ich flehe Sie an, ich habe ein so schönes Pferd gefunden. Ich möchte es malen, niemals wieder finde ich so ein schönes Tier.“ Im Wald, in einer Lichtung, fanden sie eine im Gras sitzende Gauklerfamilie beim Mittagessen. Neben dem Jahrmarktskarren stand das ausgespannte, erschöpfte Pferd, das sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, sein Fell war voller Kot, Schwären und Fliegen. Soutine sagte zu Madame Castaing: „Seine Augen sind menschliche Augen, soviel Leid und Erschöpfung drücken sie aus. Es hat nicht mehr die Kraft, sich hinzulegen, und wartet auf den Tod.“ Alle wurden sie zur Villa der Castaings mitgenommen, das Pferd, der Karren, die Gaukler, die Kinder. Sie blieben drei Tage, und Soutine malte das Pferd. Madame Castaing erzählte auch, daß sie einmal mit ihrer Familie einen Ausflug in den Süden von Frankreich unternahm, Soutine und die Köchin im Haus zurückließ, aber etwas früher, als vereinbart zurückkehrte. Das Haus war leer, ihr Gast offenbar unterwegs, aber frischer Farbgeruch schlug ihnen beim Übertreten der Türschwelle entgegen. Sie gingen, um ein mögliches Bild zu entdecken, dem Geruch der Farben nach, durchstöberten alle möglichen Verstecke, und ihr kleiner Sohn Michel fand schließlich im Schuppen unter dem Billardtisch ein neues Bild. Am nächsten Tag erschien Soutine, der bereits an den freudigen und entspannten Gesichtern seiner Gastgeber ablesen konnte, daß sie sein neues Bild entdeckt hatten. Am Abend, als sie bereits im Bett waren, hörten sie, daß Soutine die Tür zu seinem Zimmer öffnete und in den Schuppen ging. Der misstrauisch und unruhig gewordene Monsieur Castaing lief im Schlafanzug vom Zimmer in den Schuppen und rief den ein Messer und eine Flasche Benzin haltenden Maler verzweifelt zu: „Soutine! Hören Sie auf! Das ist ein Meisterwerk! Was Sie da machen, ist ein Verbrechen!“ – „Warum haben Sie es angeschaut, Sie hätten auf mich warten müssen!“ antwortete Soutine. – „Ja, das stimmt, aber wir freuten uns so sehr zu wissen, daß Sie gearbeitet haben. Sehen wir uns doch das Bild gemeinsam an!“ Einen Großteil der Nacht, so berichtete Madame Castaing, hätten sie dann alle voller Glück das neue Bild betrachtet, dem er schließlich den Titel gab: „Frau aus dem Wasser steigend“. Auch Madame Castaing, die mindestens dreißig Gemälde aus seiner Céret-Zeit gekauft hatte, berichtete, daß man, um ein Bild von Soutine kaufen zu können, für ihn erst einmal eine bemalte Leinwand aus dem 17. Jahrhundert auftreiben musste und daß er außerdem, bevor er den Handel einging, ein Céret-Bild einforderte, um es zerstören zu können. Er schloß sich eine Stunde lang mit dem Bild in sein Zimmer ein, schlitzte mit einem großen Messer das Gemälde auf, zerschnitt es und warf die Fetzen in den Holzofen. Eines Tages rief Zborowski Madame Castaing an: „Ich glaube, ich habe etwas für Sie!“ Zborowski kam mit dem Bild in die Villa der Castaings und sagte: „Wissen Sie, das hier ist ein sehr teures Gemälde. Soutine ist sehr anspruchsvoll geworden, seit Albert Barnes so viele Arbeiten von ihm gekauft hat“, und zeigte der Familie das Gemälde von einem Chorknaben in liturgischen Gewändern. Monsieur Castaing zog sofort das Scheckheft heraus und zahlte den geforderten Betrag von 30.000 Francs. Madame Castaing, zu der Soutine Vertrauen gefaßt hatte, erzählte er einmal aus seiner frühesten Kindheit im Schtetl Smilowitchi. Er lag in einer Wiege und beobachtete voller Bezauberung das Spiel von Licht und Schatten an der Wand. Seine jüdische Religion, erzählte Madame Castaing, mochte Soutine nicht, aber er begleitete sie, als er in ihrer Villa wohnte, jeden Sonntag zur Messe in die Kathedrale von Chartres, wo er immer hinter einer bestimmten Säule wartete. Er sagte, daß es sehr bewegend sei, betende Menschen zu sehen.
Soutines Faszination durch vornehmlich blaue Hüte – er hatte unzählige gekauft – ging soweit, daß er diesen Fetisch als lebensrettende Tarnkappe missverstand. Während der deutschen Besetzung Frankreichs sah man den jüdischen Künstler öfter sorglos durch die Straßen von Paris gehen. Als ihn ein Freund vor der Gefahr warnte, erkannt und von den Nazis verhaftet und in ein Konzentrationslager deportiert zu werden, sagte Soutine arglos, daß man ihn gar nicht erkennen könne, da er ja einen neuen blauen Hut trage. Nachdem das Dekret zur Erfassung der Juden erlassen worden war, meldete er sich bei der Behörde. Als er aus dem Amt kam, begegnete er zufällig Chana Orloff, zeigte ihr lachend seine Karte, auf der der Stempel verrutscht war, und sagte: „Die haben mir mein JUDE ramponiert.“ Einerseits berichtete Chana Orloff, daß Soutine im Gegensatz zu Marc Chagall, der rechtzeitig auswandern konnte, vergebens versucht habe, bei der amerikanischen Botschaft eine Einreisebewilligung in die USA zu erhalten, andererseits hieß es, daß Soutine das besetzte Paris gar nicht verlassen wollte, da er befürchtete, in der freien Zone keinen Zugang zu frischer Milch zu haben, die für seine Magendiät notwendig war. Schließlich aber musste der registrierte Jude Chaim Soutine außerhalb von Paris in kleinen Ortschaften Zuflucht suchen und immer wieder woanders untertauchen. In dieser Atmosphäre der Spannung, Angst und Nervosität verschlimmerten sich seine Magengeschwüre. Seine frühere Freundin Mlle. Garde wurde in Paris interniert und in das Konzentrationslager Gurs in den Pyrenäen deportiert. Sie überlebte den Krieg, sah aber Soutine lebend nie wieder. In dieser unruhigen Zeit lernte er Marie-Berthe Aurenche, eine ehemalige Frau von Max Ernst kennen. Obwohl es immer wieder Nachforschungen der Polizei über seinen Aufenthalt gab – ein einflussreicher Dorfbürgermeister konnte eine Zeitlang seine schützende Hand über Soutine halten -, verbrachte er die letzten zwei Jahres seines Lebens mehr oder wenige in Ruhe mit Marie-Berthe Aurenche, ehe er Anfang August 1943 einen schweren Anfall erlitt und Marie-Berthe sich entschloß, den schon fast auf die Knochen abgemagerten Soutine nicht ins nächstgelegene Krankenhaus zu bringen, sondern in die Hauptstadt zu fahren, zu dem berühmten Arzt Dr. Grosset. Wegen der Gefahr, von den Nazis angehalten zu werden, fuhren sie mit einem Leichenwagen, nahmen aus Sicherheitsgründen mehrere Umwege und kamen erst nach einer vierundzwanzig stündigen Fahrt in Paris an. Doktor Grosset konnte Soutine nicht mehr retten. Chaim Soutine erlitt einen Magendurchbruch mit inneren Blutungen und starb während der Operation am 9. August 1943, um 6 Uhr morgens. Die Sterbeurkunde war mit dem Stempel versehen: „Connu comme Juif“ – Bekannt als Jude! Sein genaues Geburtsdatum weiß niemand. Vom Verkauf seiner Gemälde konnte Marie-Berthe auf dem Cimetière Montparnasse ein Grab erwerben, wo seine sterbliche Hülle zwei Tage später, unweit vom Grab Baudelaires, beigesetzt wurde. Auf der Grabplatte befindet sich ein großes christliches Kreuz, sein Vorname wurde falsch eingemeißelt. Unter den fünf Begräbnisgästen waren, neben Mlle Garde, Pablo Picasso, Max Jacob und Jean Cocteau. Zur selben Zeit ereignete sich in seiner Heimat Smilovitchi ein grausamer Massenmord, der das Städtchen fast auslöschen sollte. Auch die Eltern und die zehn Geschwister von Chaim Soutine haben vermutlich bei diesem Verbrechen der SS den gewaltsamen Tod gefunden.