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janina janke: resümee

RESUMÉ „andere räume – knowledge through art“

Mit dem Forschungsprojekt „andere Räume- knowledge through art“ war die Grenze zwischen der Disziplin der Kunst und der Disziplin der Wissenschaft nicht nur eine akademische Mode-Metapher, sondern manifestierte sich permanent in den Begegnungen von sechs Künstlerinnen und zwei Wissenschaftlerinnen auf praktische Art und Weise.

Ich möchte bestimmte Momente unserer nun schon langjährigen Zusammenarbeit heraussuchen und beleuchten, bei denen sich etwas offenbart oder zugespitzt hat und exemplarisch aufscheinen lässt, wo wir in der Gruppe mit den Differenzen zwischen den Künsten und den Wissenschaften konfrontiert waren und wo wir uns zudem in produktiver Form aneinander gerieben haben.

Vertrag

Gleich zu Beginn sahen wir uns vor die Aufgabe gestellt einen Vertrag abzuschließen. Dieser Vertrag wurde nicht unter uns Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen geschlossen, sondern zwischen jedem einzelnen von uns und der Universität Klagenfurt, die die Projektfördergelder vom FWF verwaltet. – Zum heutigen Zeitpunkt frage ich mich, ob es nicht auch interessant gewesen wäre, wenn wir unter uns in der Gruppe einen informellen Vertrag abgeschlossen hätten. Welche Punkte wären für uns relevant gewesen und wie hätten wir den Vertrag im Laufe des Projektes eventuell modifiziert? –

Dieser bürokratische Akt des Vertragsabschlusses wurde zum ersten Hindernis der künstlerisch – wissenschaftlichen Kooperation. Schnell stellte sich heraus, dass die üblichen Werkverträge, die die Universität mit Wissenschaftlerinnen abschließt für unser Format völlig unpassend waren. Klauseln wie: „Die/Der AuftraggeberIn ist daher insbesondere ausschließlich berechtigt, aber nicht verpflichtet, das Werk in jeder ihr/ihm geeignet erscheinenden Art und in jedem Verfahren und Format in beliebiger Menge zu vervielfältigen und diese Vervielfältigungen im In- und Ausland entgeltlich und unentgeltlich in jeder beliebigen Weise zu verbreiten (auf Verkauf, Schriftentausch und dgl.). Die/Der Auftraggeber ist weiters berechtigt, das Werk in jeder ihr/ihm erforderlich erscheinenden Weise zu bearbeiten, insbesondere zu kürzen, zu teilen, in fremde Sprachen zu übersetzen, einen anderen Titel für das Werk zu bestimmen bzw. diesen zu ändern.“ sind mit dem Autorschaftsempfinden von Künstlerinnen nicht vereinbar. Man stelle sich vor die Partitur einer Komponistin, die Videoarbeit eines Künstlers oder der Text eines Schriftstellers würden diesem Passus unterliegen. Es bedurfte einiger Schriftwechsel und gegenseitiger Absicherungen bis der Vertag schließlich ausreichend verändert und unterschrieben war.

Dieses Beispiel ist keine Ausnahme im Ringen um Verständnis zwischen Institution und freiem Künstlerinnen Dasein. Seit Wochen versuche ich z.B. einer Finanzamtsbeamtin zu erklären worin meine Tätigkeit liegt, da sie damit beauftragt ist meine Steuer zu prüfen und für meine Kunstprojekte keine Kategorien in ihren Formularen findet.

 

Powerpoint

Bei den zahlreichen Treffen unserer „knowledge through art“ Gruppe stellten wir uns gegenseitig unsere aktuellen Beschäftigungen und den Stand der Subprojekte vor. Es wurden Texte verlesen, Begriffe verhandelt, Filme und Bilder gezeigt, Zweifel geäußert, von Erlebnissen und Erfahrungen berichtet. Diese Momente waren der Kern unserer Kooperation, da hier die heterogenen Herangehensweisen aller Beteiligter, egal ob Künstlerin oder Wissenschaftlerin, deutlich zu Tage traten und man am meisten voneinander erfahren konnte.

Bei einem Workshop in den Seminarräumen des IFF in Wien stellte mein Projektpartner Maurice de Martin in einer Powerpoint Präsentation seine Beschäftigung mit dem Thema „Ränder – Peripherie“ vor. Dieses Thema ist zentraler Inhalt in der Auseinandersetzung unseres Subprojekts über die UN Amtssitze, da wir uns speziell auf die Beeinflussung des Alltags der UN Mitarbeiter durch ihr lokales Umfeld (die Städte Wien, Nairobi und New York City) fokussiert haben. Maurice de Martin führte in seiner Präsentation assoziativ Zitate und Bilder aus der Kunstgeschichte und Philosophie zusammen. Dies stieß auf großen Unwillen bei den beteiligten Wissenschaftlerinnen der Gruppe, da sie den Eindruck hatten hier würden Sachverhalte und große Namen der Geschichte ohne Kontext in eine Logik gezwängt. Nach einer emotionalen Diskussion stellte sich heraus, dass zwei Arbeitsmethoden aufeinandergeprallt waren und ein Missverständnis entstanden war. Im akademischen Kontext wird die Powerpoint Präsentation verwendet um logische Sachverhalte aufeinander aufbauend in einen Zusammenhang zu bringen und eine These zu stützen. Maurice de Martin hatte diese Präsentationsart für seine künstlerische Arbeitsweise des assoziativen Sammelns und Nebeneinanderstellens verwendet. Eine These war nicht vorhanden, eher eine Suche nach Inspirationen für seine künstlerische Auseinandersetzung. Er bediente sich „wild“ an allem, was ihm bei seiner Recherche vor Augen gekommen war. Gerade die „Nicht-Logik“ und die Vielfalt der Sammlung nimmt er in sein Gepäck, um anschließend bei der künstlerischen Arbeit immer wieder neu zu improvisieren und überraschende Relationen zu entdecken, die im Anschluss im Kunstwerk verarbeitet werden.

 

Kategorien

Neben unseren thematisch verbundenen Teilprojekten, stellten wir uns der Aufgabe miteinander in einen sinnvollen inhaltlichen Austausch auf einer Meta-Ebene zu kommen. Wir führten gegenseitig Interviews, wobei die Wissenschaftlerinnen die Künstlerinnen befragten und umgekehrt. Die Disziplinen blieben getrennt, mit dem Ziel die unterschiedlichen Arbeitsmethoden zu erforschen. Anschließend baten uns die Wissenschaftlerinnen uns zu bestimmten Begriffen (z.B. Wahrheit, Erkenntnis, Anfangen, Kompromiss, Scheitern …), die sie in den Interviews gefunden hatten, zu verhalten und dazu kreativ zu werden. Hier tat sich eine Verständigungsbarriere auf. Die Selbstverständlichkeit mit der Wissenschaftlerinnen sich dieser Aufgabe zuwenden und sie in einen textlichen Diskurs bringen können, schien einen Teil der beteiligten Künstlerinnen unmöglich.

Schwer könnte ich auf diese abstrakte Art und Weise mein Tun reflektieren oder künstlerisch produktiv werden. Meine Projekte entwickle ich aus realen Gegebenheiten (hier die UN Amtssitze). Aus der Beschäftigung mit ihnen entstehen Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich aus dem Konkreten in eine Meta-Ebene, dem Kunstwerk (sei es Performance, Film oder Installation), überführe. Die umgekehrte Herangehensweise hat mich überfordert oder ich hatte auch Angst hierbei meinem Anspruch nicht gerecht zu werden.

Man kann nicht verallgemeinern, dass die Herangehensweisen der Induktion und Deduktion typisch sind für die Arbeitsstrategien in der Kunst und in der Wissenschaft, in der speziellen Zusammensetzung unserer Gruppe hatte es sich so herausgestellt. Aber erst durch diese Konfrontation bin ich über eine Selbstverständlichkeit in meiner Arbeitsweise gestolpert. Heute frage ich mich, ob ich diese Barriere für das Experiment hätte überwinden sollen oder ob ich wohl zu einem späteren Zeitpunkt in meiner Karriere genau diese Umkehrung der Methode vielleicht einmal anwenden werde.

 

Präsentation

Als letztes Beispiel möchte ich auf die Gesamtprojekt-Präsentation zu sprechen kommen, welche als öffentliche Werkschau einen Höhepunkt von „andere räume – knowledge through art“ darstellte.

Es ergab sich die Notwendigkeit das Subprojekt „un.known spaces“ über die Amtssitze der Vereinten Nationen von Maurice de Martin und mir zu einem früheren Zeitpunkt zu präsentieren als die vier weiteren Subprojekte, da wir viele Gegebenheiten (z.B. die Anwesenheit von UN Dolmetschern und lokalen Akteure sowie meine Jahresplanung) kanalisieren mussten und dies nur zu dem geplanten Zeitpunkt im Mai 2013 möglich war. Dies hatte zur Folge, dass wir fünf Monate vor der Gesamtprojekt-Präsentation im Oktober 2013 unsere Ergebnisse als Pilot in Form einer multimedialen Installation mit Performance auf dem Donauturm vorwegschickten. Es kam die Frage auf, wie man das Subprojekt im Vorfeld bewerben sollte, so dass es im Gesamtkontext erkennbar bleibt und zudem als Einzelprojekt die öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Wir entwarfen Poster und Flyer und richteten eine spezielle Website mit Informationen zur Veranstaltung auf dem Donauturm ein. Es war ein langwieriger und anstrengender Prozess bis es zu einem Kompromiss in der Form und inhaltlichen Gestaltung der Öffentlichkeitsmaterialien kam. Hierbei spielten verschiedene Faktoren eine Rolle, die die Zusammenarbeit zwischen dem Leitungsteam des Forschungsprojekts und uns freien Künstlern erschwerte. Gewöhnt eigeninitiativ und selbstverantwortlich zu arbeiten, agierten und kommunizierten wir, wie bei unseren freien Kunstprojekten üblich. Es entstand ein Konflikt zwischen institutionellen Umgangsformen und denen der freien Kunstszene, zwei Systeme prallten aufeinander. (Ich frage mich auch inwiefern hier sogar die kulturellen Unterschiede zwischen Österreich und Deutschland noch mit hineingespielt haben.) Bei diesem Clash wurde der Graben deutlich, der die beiden Systeme und die in ihnen agierenden Menschen voneinander trennt. Beide Welten pochen bewußt und unbewußt auf ihre Traditionen und Rituale. Diese bei sich selbst zu hinterfragen und beim anderen zu erkennen, habe ich beim Künstlerinnen und Wissenschaftlerinnen verbindenden Forschungsprojekt „andere räume – knowledge through art“ erfahren.

Es geht also nicht allein um einen Verständigungsprozeß zwischen den Disziplinen der Wissenschaften und der Künste, sondern damit einher spielt der Dialog zwischen Institution und freiem Arbeiten eine tragende Rolle. Wichtig erscheint hier das Aufzeigen der unterschiedlichen Kommunikationsformen und Arbeitsabläufe – nicht das Angleichen sondern das Reflektieren und Erweitern des jeweiligen Spektrums.

Wir sind eine buntgemischte Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen, die sich im Vorfeld des Projektes aus verschiedenen Kontexten bereits kannten oder auch nicht. Es war ein langer Prozess bis wir ein Verständnis oder besser eine Verständigungsform und Vertrauen zueinander gefunden haben. Macht es überhaupt Sinn ein Forschungsprojekt in einer solchen Konstellation zu begehen? Sollte man nicht Menschen aus seinem Netzwerk suchen, mit denen man schon eine gewisse Gemeinsamkeit gefunden hat, damit man sich die vielen Umwege der Missverständnisse erspart? Mein erster Impuls wäre das zu bestätigen, denn ich liebe flüssige Arbeitsprozesse und sicher würde man schneller zu zufriedenstellenden Resultaten gelangen. Allerdings hat das dann noch viel mit der Realität zu tun? Und sind es nicht gerade Fehler und Missverständnisse, die zu unvorhergesehenen Erkenntnissen führen?

Bleibt die Frage: Wie kann man das im gemeinsam Erfahrene zukünftig weiter ausbauen und den wechselseitigen Übersetzungsprozeß zwischen den sich aufgetanen „anderen Räumen“ fortführen?

 

Perspektive

Nach der Phase der Workshops, der Entwicklung der Subprojekte und der Präsentation des Gesamtprojekts in der Zacherlfabrik in Wien, gilt es heute zu reflektieren und zu dokumentieren. Doch es wäre schade, würden unsere Reflexionen und Dokumente allein im Archiv landen. Neben dem, dass für die einzelnen Projekte Pläne für die Zukunft entstehen, sollten wir uns auch als Gruppe neue Dialogpartner suchen, mit denen wir unsere Erfahrungen und Erkenntnisse diskutieren können. Ich finde die Idee dies, nachdem wir zuletzt in einer Kulturinstitution präsentiert haben, nun in einem wissenschaftlichen Kontext und in Form eines Symposiums zu tun, sehr reizvoll. Zudem würde mich ein Zusammentreffen und Dialog mit Personen interessieren, welche in ähnlichen Forschungskonstellationen aktiv waren und sind.

Es ist auf alle Fälle wünschenswert, dass die „knowledge through art“ Gruppenmitglieder sich auch zukünftig, unabhängig vom Forschungsprojekt, in verschiedenen Konstellationen zusammentun und gegenseitig in ihre „Räume“ einladen. Dies geschieht z.B. gerade im Kontext der Temporären Kunstakademie Marzahn von Maurice de Martin in Berlin, für die Wilhelm Berger ein Grußwort geschrieben hat und für die er diesen Sommer für eine philosophische Intervention in den Berliner Randbezirk Marzahn kommen wird.

 

SUB RESUMÉ „un.known spaces“
Das Projekt „un.known spaces“ wäre außerhalb des „knowledge through art“ Kontextes nicht entstanden. Es hätte für mich 2010 kein Grund bestanden nach Wien zu reisen und mein Blick wäre nicht an dem seltsamen Gebäudekomplex des Vienna International Centers auf der Donauinsel hängen geblieben.

Jetzt habe ich aber das Glück Teil des Wiener Forschungsprojekts „knowledge through art“ zu sein und beschäftige mich gemeinsam mit meinem Projektpartner Maurice de Martin schon seit über drei Jahren mit den Amtssitzen der Vereinten Nationen in Wien, New York City und Nairobi. Wie hat sich das auf meine künstlerische Arbeit ausgewirkt?

Im Zusammenhang mit dieser Auseinandersetzung bin ich nicht nur quer über den Erdball gereist, ich habe auch Räume betreten und mich mit Menschen unterhalten, wie ich es mir niemals erwartet hätte. Mittlerweile passiere ich die Sicherheitschecks der drei UN Amtssitze und auch der Kaufhäuser in Nairobi mit Gelassenheit, tausche mich mit großer Selbstverständlichkeit mit UN Mitarbeiterinnen (beherrsche zumindest teilweise „UNese“) und lokalen Akteurinnen in den drei Städten aus. Ich konnte ein Projekt in einem internationalen Rahmen durchführen, bei dem ich auch künstlerisch permanent neue Wege erprobte – zum einen aufgrund des Austauschs mit der „knowledge through art“ Gruppe, zum anderen aufgrund der Horizonterweiterung durch die vielen neuen Begegnungen im Zuge der Projekt-Recherche auf drei Kontinenten.

Wie und wo genau die Diskussionen in unserer Gruppe mein künstlerisches Denken und Handeln beeinflusst haben, fällt mir schwer nachzuvollziehen. Aber ich wurde immer wieder gefordert meine gewohnten Denkbahnen zu verlassen und zu versuchen mich in fremde hineinzuversetzen. Die Reaktionen meines Gegenübers lenkten bewußt oder unbewußt meine nächsten Schritte. Bestimmte Begriffe oder Sätze, die während unserer Gespräche auftauchten, setzten sich in meinem Kopf fest und wurde von mir in künstlerischen Zusammenhängen erprobt.

Dem „knowledge through art“ Forschungsprojekts verdanke ich den Luxus der langfristigen Beschäftigung mit einem Thema. Nie zuvor hatte ich die Möglichkeit mich über einen vergleichbaren langen Zeitraum intensiv in eine Sache hineinzudenken. Als Theaterschaffende hetzt man normalerweise von einem 6 Wochen Projekt zum nächsten und versucht zwischendrin noch die Anträge für weitere zu lancieren. Die Kontinuität dieses einen Projekts hat dazu beigetragen, dass ich meine persönliche Arbeitsweise verändern konnte.

Konkret ist bei mir in den letzten Jahren ein Wandel weg vom Theaterschaffen hin zum „Umkomponieren“ von realen Begebenheiten passiert. Lange Zeit bediente ich mich dramatischer Mittel wie Stücktexte, Darsteller, Kostüme, Licht etc. und nutzte reale Architekturen als Bühnenbild für meine Inszenierungen. Heute sind die Gebäude, in die ich gehe, zum alleinigen Ausgangsmaterial für meine künstlerische Auseinandersetzung geworden. Sie sind der Protagonist, nichts Künstliches wird in sie hineingesetzt. Ich begreife sie als „readymades“. Ich erkunde ihre Strukturen und spreche mit den Menschen vor Ort. Ich verwandle entweder die Orte selbst durch Umorganisationen temporär zu einem Kunstwerk oder trage meine Fundstücke an die Öffentlichkeit, wobei ich die Akteure der Orte in die Präsentationen oftmals miteinbeziehe.

Gerade stellen Maurice de Martin und ich die kommende Präsentation der „un.known spaces“ in Nairobi zusammen, welche eine Ausstellung im Goethe-Institut, eine Performance im Amtssitz der UN, einen Workshop mit Kindern aus dem Slum und ein Symposium mit UN Mitarbeitern und lokalen Akteuren beinhalten wird. Nächstes Jahr werden die „un.known spaces“ voraussichtlich zur 70 Jahr Feier der Vereinten Nationen nach New York City reisen.

Das Subprojekt „un.known spaces“ hat nicht nur in den vergangenen drei Jahren einen großen Raum in meinem Leben eingenommen, es tut es noch immer und wird es in Zukunft weiterhin tun. Es sind enge Kontakte zu besonderen Menschen entstanden, z.B. zu einem UN Peacekeeper und Colonel der British Armed Forces mit dem wir ein Projekt planen, das sich mit seiner Arbeit in den Krisengebieten verbinden soll, oder zu einer pakistanischen ehemaligen UN Mitarbeiterin und zugleich Terrorismusforscherin, deren innere Zerrissenheit zwischen der westlichen und islamischen Welt wir in einem Film verarbeitet möchten.

 

META RESUMÉ Portrait – Raum

Als heterogene Gruppe aus Wissenschaftlerinnen und Künstlerinnen unterteilten wir uns in fünf Teams mit Teilprojekten zum gemeinsamen Thema „andere Räume“, uns auf den Text des Philosophen Michel Foucault von 1967 beziehend.

Wir hatten zu Beginn unserer Kooperation festgestellt, dass sich das Thema „Raum“ gut für uns als Gruppe eignet, da es für jedermann greifbar ist und in allen Disziplinen zu Hause.

Mir ist aufgefallen, dass sich zwar jedes der fünf Subprojekte mit Räumen beschäftigt, die Komponente Mensch darin aber immer eine tragende Rolle spielt. Im folgenden möchte ich daher versuchen zu beschreiben, in welchem Verhältnis innerhalb der einzelnen Projekte Räume zu Menschen stehen und umgekehrt. Um dem im ausreichendem Maße gerecht zu werden, bedürfte es einer komplexen und langwierigen Auseinandersetzung, die meine Kapazitäten übersteigt, ich möchte aber dennoch zumindest die Erstellung eines ersten groben Schnittmusters wagen.

 

Der Schriftsteller Josef Winkler begab sich mit „dark chambers“ auf Spurensuche nach dem Maler Chaim Soutine, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts aus Weißrussland nach Paris immigriert war und dort zeitweise im Künstlerwohnheim La Ruche unterkam. Josef reiste für sein Vorhaben selbst nach Paris und besuchte Orte an denen sich Chaim Soutine aufgehalten hat. Aber er wanderte auch durch seine eigene Vergangenheit, in der er schon als 17 jähriger Bauernsohn die Bilder des Malers bewundert hatte. Auf diese Weise ist ein Text entstanden, der den Maler Chaim Soutine und zugleich den Autor selbst porträtiert. Der Leser erfährt wie reale Personen und Räume verschiedener Zeiten sich gleichberechtigt überlagern und in einem gemeinsamen Portrait verschmelzen.

 

Die Komponistin Katharina Klement und die Regisseurin Ursula Mihelic erstellten filmische Portraits ihrer Väter, genannt „monde“. Sie besuchten Katharinas Vater zu Hause und fuhren mit ihm nach Tschechien an den Ort, der einmal seine Heimat war und heute auf dem Grund eines tiefen Stausees liegt. Für den Betrachter des Films entsteht nach und nach ein Bild des Protagonisten, indem man mit ihm gemeinsam Plätze seiner Vergangenheit aufsucht und er über sie erzählt. Seine Orte, Geschichten und Gesten fügen sich zusammen und ergeben ein Portrait.

Bei Ursulas Vater passiert etwas anderes. Die Kamera hält auf einen gelähmten und stummen Menschen in einem Zimmer im Pflegeheim. Als Betrachter versucht man jede noch so kleine Regung im Gesicht des alten Menschen zu entdecken und interpretieren. Alles was wir über ihn erfahren werden, wird uns von seinen Familienangehörigen erzählt. In ihren Gesichtern und Geschichten tun sich erst die Räume auf, die Ursulas Vater passiert hat bevor er in dieses Zimmer kam, das er lebend nicht mehr verlassen wird.

 

Der Philosoph Wilhelm Berger beschäftigt sich mit dem Phänomen des Gehen und Denkens, Denken und Gehens. Willi hat an einigen Reise-, Lese- und Wanderbüchern mitgearbeitet, für die er das Zusammenspiel beider Tätigkeiten praktisch erprobte. Für „andere räume“ hat er in seinem Text „ergehen“ einen Ausflug unternommen, bei dem er biblische und historische Figuren, auch Philosophen, gemeinsam auf Wanderschaft durch reale und fiktive Räume der Weltgeschichte schickt. Der Leser folgt ihnen auf einer Zeitreise bis er schließlich in der Gegenwart landet und dort über Zäune vor der eigenen Haustür stolpert.

 

Leider konnte ich die Präsentation des Ergebnisses der Zusammenarbeit der Soziologin Elfie Miklautz und des Konzeptkünstlers Adreis Echzehn in der Zacherlfabrik nicht erleben. Aus den Beschreibungen ihres Teilprojekts „al niente“ weiß ich von ihrem aufsuchen stiller Räume, z.B. die Sankt Buchardi Kirche in Halberstadt mit John Cages Orgelstück Organ2/ASLSP, die Höhlen auf Sardinien mit der „pissenden Stute“ und zuletzt ein verlassenes Haus neben einem Bachlauf in Kärnten, welches zum Protagonisten ihrer Auseinandersetzung werden sollte. Elfie und Adreis haben sich diesen Räumen angenähert und darauf geachtet was sie in ihnen auslösen, wie sie ihr Zeit- und Raumempfinden verändern und was sie für Fantasien bei ihnen hervorrufen. Sie haben sich dabei ganz auf ihre persönliche Raumerfahrung konzentriert und ausprobiert was sie in die Räume wiederum zurückspielen können.

 

Und schließlich erforschten der Musik- und Medienkünstler Maurice de Martin und ich, Bühnenbildnerin und Regisseurin, mit „un.known spaces“ die Amtssitze der Vereinten Nationen in Wien, New York City und Nairobi. Dabei interessierte uns inwiefern die spezifischen Verortungen der UN Gebäude, also die lokale Kultur und direkte Nachbarschaft, Einfluß auf das ausüben, was in ihrem Inneren geschieht. Wir führten Interviews mit 33 UN Mitarbeitern und ebenso vielen lokalen Akteuren aus dem direkten Umfeld der drei Amtssitze. Schließlich präsentierten wir 66 Videos auf denen die Hände unserer Gesprächspartner zu sehen sind, wie sie mit individueller Gestik und unter zu Hilfenahme ihrer sie alltäglich umgebender Gegenstände subjektive Karten ihres Lebens entwerfen. In ihren Beschreibungen, Bewegungen und durch die Objekte entsteht ein Netz, welches sich um den Globus spannt – obwohl die Gesichter und Räume der Menschen unsichtbar bleiben.

 

Das Wechselspiel zwischen Raum und Mensch ist allen Teilprojekte eingeschrieben.

Zum einen steht das Portraitieren eines Menschen im Zentrum. Das Bild entsteht durch das Aufsuchen und Auseinandersetzen mit Räumen, in denen sich die zu portraitierende Person aufgehalten hat (dark chambers, monde). Die Suche nach ihren hinterlassenen Spuren und Abdrücken – diese können sich wiederum in Form von Menschen manifestieren – wird zur Detektivarbeit. Die Fundstücke aus den Räumen werden kombiniert und interpretiert, sie ergeben das vielschichtige Portrait eines Menschen.

Zum anderen handelt es sich um das Portraitieren eines Raumes. Hierbei beschreiben Menschen ihre Erfahrungen und Erlebnisse in bestimmten Räumen (al niente) und sie erklären wie sich verschiedene Orte in ihrem Leben zueinander verhalten haben und hierüber ihren Lebensraum ergeben (un.known spaces). Schließlich kommt die Bewegung der Menschen durch den Raum ins Spiel (ergehen). Durch die Tätigkeit des Gehens wird der Raum erfahren. Eindrücke werden vom denkenden Menschen verarbeitet und mit individuellen Erinnerungen und Erlebnissen (auch anderen Räumen) abgeglichen. Dies ergibt wiederum eine neue aktuelle Raumerfahrung beim Gehen und lässt sich ewig so weiterführen. Seit Menschen existieren, hat vermutlich nie ein Menschen exakt einem anderen geglichen, daher gibt es wahrscheinlich genauso viele Wahrnehmungen und Vorstellungen von Räumen wie Menschen.

Die Beschäftigung mit der vielseitigen wechselseitigen Prägung von Menschen und Räumen hat sich als gemeinsamer Nenner unserer fünf Auseinandersetzungen herausgestellt. Wir haben den Begriff Raum bewußt oder unbewußt immer in Bezug zu Menschen gesetzt – als Erschaffer, Bewohner oder Betrachter.

Kann man den Raum ohne Mensch denken oder den Mensch ohne Raum? Das eine scheint vorstellbar, das andere hingegen weniger.

Janina Janke

Paris, 3.6.2014